Warum hilft ASMR beim Einschlafen?
In ASMR-Videos sorgen Flüsterstimmen und Rascheln für Kopfkribbeln, das entspannt – ein Selbstversuch.

Ins Bett legen, Kopfhörer auf, ASMR-Video starten: Zu sehen ist eine junge Frau. Sie sitzt vor einem Mikrophon, sonst gibt es Nichts weiter. Mit leiser Stimme flüstert sie mir zu, heißt mich willkommen und lädt zum Entspannen ein. Der erste Eindruck ist mehr befremdlich als beruhigend. Aber heute möchte ich mich voll auf den Internettrend einlassen: Fans von ASMR beschreiben beim Schauen der Videos ein wohliges Kribbeln auf der Kopfhaut, das sich bis in die Fingerspitzen zieht. Ein Gefühl, dass, wohl etwas scherzhaft, auch als Ohrgasmus bezeichnet wird. Angenehm soll er sein, entspannend und man soll dabei vollkommen zur Ruhe kommen – eine ideale Einschlafhilfe.

Was ist ASMR?

Doch was ist ASMR überhaupt? Und wie können Geräusche angenehme Gefühle auslösen? Der Hypnotherapeut Olf Stoiber hat da eine Idee. Er ist der Vorsitzende des Deutschen Bands für Hypnose und geht davon aus, dass das Gefühl eine neurologische Reaktion ist, die bereits in frühster Kindheit veranlagt wurde. „Säuglinge und Kleinkinder kann man durch sanfte Gesten und Berührungen von Angstzuständen befreien. Möglicherweise wird diese Reaktion bei manchen Menschen abgespeichert und kann später – völlig unterbewusst – durch ähnliche Auslöser wieder getriggert werden“, so Stoiber. Eine Kindheitsprägung also, die auch im Erwachsenenalter noch nachwirkt.

Die Abkürzung ASMR steht für „Autonomous Sensory Meridan Response“ und beschreibt das Phänomen, dass durch auditive oder visuelle Trigger bei empfänglichen Menschen Reize ausgelöst werden. Die Zuschauer lauschen in den Videos Flüsterstimmen, leisen Kratzgeräuschen oder raschelndem Papier. Auch Videos in denen gegessen, geschmatzt und gekaut wird, sind beliebt. Beim Schauen empfinden manche Menschen eine tiefe Entspannung und fallen teilweise in einen tranceartigen Zustand, der dem einer Hypnose gleicht. Klingt etwas bizarr, aber das Ganze sei absolut ungefährlich, so der Hypnotherapeut Stoiber. Heißt für mich: ASMR ist zumindest einen Versuch wert.

Kribbeln, Kauen und Knistern

Im Bett liegend, ziehe ich die Decke noch ein wenig höher und kuschle mich ein. Neben mir der Laptop mit dem Video. Noch spüre ich das Kribbeln auf der Kopfhaut nicht, auch keine Gänsehaut. Zur Ruhe komme ich trotzdem, denn die Bilder auf dem Bildschirm bleiben gleichförmig: gedeckte Farben, langsame Bewegungen, keine Aktion oder Überraschungen. Am Anfang lag mein Blick noch gespannt auf dem Video, doch mit der Zeit wende ich mich mehr und mehr ab. Ich schließe sogar kurz die Augen.


Die sanfte Flüsterstimme der Youtuberin nimmt mich durch ihren Alltag. Sie erzählt Belanglosigkeiten: Gestern war das Wetter gut, doch heute gibt es Regen. Mit behutsamen Fingerklopfen auf dem Tisch untermalt sie ihre Geschichte. Sie imitiert sie das Fallen der Tropfen. Es klingt angenehm vertraut und ich lausche weiter.

YouTube-Videos zum Einschlafen

So wie ich, nutzen viele Menschen die beruhigende Wirkung der Geräusche und Bilder als Einschlafhilfe. So auch die die Studentin Johanna, die ich über eine Facebook-Gruppe für ASMR-Fans kennenlerne. Johanna hat Schwierigkeiten beim Abschalten. Sie wälzt sich abends oft stundenlang im Bett herum, bis sie endlich einschläft. Am nächsten Tag fühlt sie sich müde und schlapp, kann sich in der Uni nur schwer konzentrieren. „Ich fühle mich wie als wäre ich feiern gewesen, obwohl ich die ganze Nacht im Bett lag,“ berichtet Johanna. Auf der Suche nach Hilfe stieß sie auf ein Forum und lernte so ASMR kennen.

Besonders Videos mit flüsternden Stimmen helfen Johanna, um schneller einzuschlafen. „Man muss ganz genau hinhören, um überhaupt ein Wort zu verstehen“, erzählt sie. Dabei fallen ihr schnell die Augen zu. Für Dr. Hans-Günter Weeß, Leiter des Schlaflabors des Pfalzklinikums, ist das nicht verwunderlich: „Die Videos lenken den Menschen von nächtlichen Gedankenkreisen ab und dann finden sie eher Schlaf. Deshalb erstaunt es mich auch nicht, dass von Schlafstörungen Geplagte auch in den neuen Medien nach Ablenkung suchen.“ Auch der Schlafmediziner Weeß hält die Videos für eine sinnvolle Methode um Einschlafprobleme zu lindern.

Schneller Schlummer – ASMR klappt

Auch bei mir zeigt das Geflüster Wirkung: Die Youtuberin imitiert weiterhin mit ihren Fingern das Fallen von Tropfen, während sie erzählt, dass sie leider in einen Regenschauer geraten ist. Nun will sie sich im Badezimmer abtrocknen und ich folge ihr im Geiste bei ihrer Phantasiereise. Passend zur Geschichte schlägt sie ein Handtuch über das Mikrophon. Nun klingt ihre Stimme noch gedämpfter. Es geht mir nun ähnlich wie Johanna: Gebannt hänge ich an der Lippen der Youtuberin, um überhaupt noch etwas zu verstehen.

Ich bin total ruhig. Auf den Bildschirm blicke ich nun gar nicht mehr, höre nur noch zu. Und dann ist es tatsächlich so weit: meine Nackenhaare stellen sich auf. Die Youtuberin lässt einen buschigen Schminkpinsel über das Mikrophon kreisen. Es knistert und raschelt, und mir läuft ein kurzer kalter Schauer über den Rücken. Eigentlich keine schöne Empfindung, doch der Schauer ist gefolgt von einem warmen Wohlgefühl. Es ist ein klein wenig so, als wäre alles nun leichter und befreit. So klingt Gänsehaut. Das muss das sagenumwobene Gefühl sein, von dem die ASMR-Community so schwärmt. Schon fast im Halbschlaf klappe ich den Bildschirm meines Laptops zu, drehe mich und schlummere sofort ein. ASMR als Einschlafhilfe – die Experten können es empfehlen und bei mir klappt es. Die Videos sind also auf jeden Fall einen Versuch wert.

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